Gute Versorgung: elf Qualitätsmerkmale nicht nur für Krankenhäuser und Arztpraxen
Niemand macht gerne Fehler. Das gilt besonders für die Gesundheitsbranche, in der Fehlgriffe schlimme Folgen haben können. Natürlich stehen die Sicherheit und das Wohl der Patienten für alle Mitarbeiter in Krankenhäusern, Arztpraxen und sonstigen Gesundheitseinrichtungen immer im Vordergrund. Trotzdem gehen Expertenschätzungen von bis zu 170.000 Behandlungsfehlern pro Jahr aus. Exakte Zahlen fehlen jedoch mangels eines bundesweiten Registers. Die Gesundheitsnorm DIN EN 15224 benennt elf Qualitätsmerkmale – etwa die Patientensicherheit – und legt einen Fokus auf das klinische Risikomanagement. Mit der Umsetzung dieser
Kriterien können Einrichtungen des Gesundheitswesens ihre Gesundheitsversorgungsprozesse optimieren – effizient und effektiv zum Wohle des Patienten und zur Weiterentwicklung der eigenen Organisation.
Die „angemessene, richtige Versorgung“ eines Patienten ist eines dieser Merkmale. „Richtig“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine medizinische Fachperson über eine möglichst zielführende Behandlung zu urteilen hat. Ein Beispiel: Hat ein Patient Hüftschmerzen und fordert deshalb ein neues Gelenk, ist es am Arzt zu entscheiden, ob dieser Eingriff wirklich erforderlich ist. Oder ist vielleicht eine konservative Behandlung mit Physiotherapie ausreichend – und damit angemessen? Zweitens soll die Art der Behandlung auch unter dem Aspekt der „auf den Patienten, einschließlich der körperlichen und geistigen Unversehrtheit ausgerichtete Versorgung“ geschehen. Das heißt: Die Behandlung muss vollständig auf das Wohl des Patienten abzielen – und nicht etwa auf das monetäre Ergebnis für die Einrichtung. Nichtsdestotrotz ist bei der Versorgung natürlich auf „Effizienz“, also Wirtschaftlichkeit zu achten. Ein bestmögliches Ergebnis bei optimalem Ressourceneinsatz ist das Ziel.
Ein weiteres Qualitätsmerkmal ist die „Einbeziehung des Patienten“. Der Patient soll über alle Behandlungsmöglichkeiten informiert sein, um mitentscheiden zu können. Welche alternative Behandlung gibt es? Wo liegen die Chancen und Risiken? Bei der Behandlung des Erkrankten sollte die „Kontinuität der Versorgung“ gewährleistet sein. Eine nahtlose Betreuung ist dann möglich, wenn alle beteiligten Einrichtungen und deren Fachpersonal lückenlos über alle Verlegungen und Behandlungen hinweg zusammenwirken. Dies zeigt sich beispielsweise in der zeitnahen und vollständigen Verfügbarkeit der Verlegungsberichte. Dieses Zusammenspiel ist anspruchsvoll, kommt aber dem Patienten als auch den Einrichtungen selbst zu Gute.
Ganz grundsätzlich gilt für alle Patienten die „Gleichheit“. Unabhängig von Geschlecht, Religion, Berufsstatus oder medizinischem Vorwissen ist bei identischem Schweregrad einer Erkrankung auch die gleiche Behandlung zu gewährleisten. Eine gute Versorgung sichert zudem „Rechtzeitigkeit und Zugänglichkeit“ sowie „Verfügbarkeit“. Eine Behandlung findet demnach in angemessener Zeit und dem Zustand sowie der Schwere der Krankheit angepasst statt. Folglich hat ein Herzinfarktpatient Vorrang vor einem unkompliziert gebrochenen Arm. Die Verfügbarkeit bezieht sich nicht nur auf Öffnungszeiten, Not- und Bereitschaftsdienste. Die Leistung verfügbar zu machen, bedingt auch die Bereitstellung des Personals mit der richtigen Qualifikation zur richtigen Zeit am richtigen Ort – und stellt manche Einrichtung vor entsprechende Herausforderungen, Stichwort: Fachkräftemangel.
Eines der zentralen Qualitätsmerkmale ist sicher die „Wirksamkeit“. Der Arzt muss bei der Auswahl der Behandlungsmethode die Wahrscheinlichkeit der Heilung oder zumindest einer Schmerzlinderung maximieren. Das ist wohl das ureigenste Interesse des Patienten, wenn er sich in Behandlung begibt. Optimalerweise ist die Wirksamkeit einer Heilmethode zum Beispiel durch Studien belegt – was sich auch in der Forderung nach einer „evidenzbasierten/wissensbasierten Versorgung“ widerspiegelt. Diagnostik und Behandlung sollten stets den Leitlinien der Fachgesellschaften folgen. Ein systematisches Wissensmanagement sorgt dafür, dass das Personal stets auf dem neuesten Stand ist und dieses Wissen anwenden kann.
Ein weiteres sehr zentrales Qualitätsmerkmal ist die „Patientensicherheit“. Risiken können nicht ausgeschlossen werden – aber wie ist die tatsächliche Eintrittswahrscheinlichkeit, und was sind die Auswirkungen? Das muss evaluiert und ausgewertet werden. Auf dieser Basis sind Maßnahmen zu entwickeln, um die Eintrittswahrscheinlichkeit kontinuierlich zu senken: Zum Beispiel sollte ein Arzt bei einem chirurgischen Eingriff an einem Bein schon vor der Operation gemeinsam mit dem Patienten im Wachzustand das betroffene Bein markieren. Klingt simpel, kann jedoch potenziell eine verheerende Fehlbehandlung verhindern. Fehler sind einerseits desaströs für den Patienten, andererseits müssen Krankenhäuser sowohl für den entstandenen Schaden haften als auch mit einer massiv beschädigten Reputation umgehen.
Die elf Qualitätsmerkmale der Gesundheitsversorgung korrespondieren nicht nur mit den gesetzlichen Anforderungen, etwa aus dem Patientenrechtegesetz, sondern sind auch ein hilfreicher Leitfaden für Krankenhäuser, Arztpraxen und andere Gesundheitsdienstleister, um die Qualität, das Qualitätsmanagement und die Patientensicherheit kontinuierlich zu verbessern und mögliche Behandlungsfehler
zu minimieren.
TÜV SÜD Experte/Autor: Jens Linstädt, Leiter Strategische Geschäftseinheit Gesundheitswesen bei der TÜV SÜD Management Service GmbH